Vom Fliehen und Willkommen in Bayern

03. Oktober 2015

SPD-Talk im Max zum Tag der Deutschen Einheit: Fraktionschef Rinderspacher und Kultursprecherin Zacharias diskutierten mit Gästen Fluchtursachen und Willkommenskultur

Der Tag der deutschen Einheit soll ein Tag der deutschen Vielfalt werden. Mit dieser Forderung setzte Til Hofmann vom Aktionsbündnis "Bellevue di Monaco" beziehungsreich das Motto der SPD-Veranstaltung "Talk im Max" zum Tag der Deutschen Einheit. Unter Moderation der SPD-Kultursprecherin Isabell Zacharias diskutierten SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher und Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Ehrenamt über das Thema "Flucht in eine neue Heimat".

Wie die neue Heimat aussehen könnte, zeigt in München "Bellevue di Monaco", eine Sozialgenossenschaft aus Kulturschaffenden, Profis der Sozialarbeit, Juristen und Flüchtlingsunterstützern. Im Begegnungszentrum an der Müllerstraße wollen sie das Thema Flüchtlinge vom Stadtrand ins Zentrum rücken. Til Hofmann sagte vor den etwa 150 Gästen im Senatssaal des Bayerischen Landtags: "Empathie entsteht durch Begegnung." Er zeigte sich zuversichtlich: Es wird sich sehr viel verändern in Bayern, aber es wird gut werden!"

Talk im Max Nelli
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Nelli Foumba Soumaoro war sechs Jahre in Deutschland nur geduldet. Er sagt heute: Ich hatte viele Barrieren, aber ich habe es geschafft. Links neben ihm Professor Petra Bendel, rechts SPD-Kultursprecherin Isabell Zacharias.

Nelli Foumba Soumaoro, der als Jugendlicher aus Guinea floh und sechs Jahre als "Geduldeter" in Deutschland lebte, studiert heute Sozialwissenschaften in Dortmund. Er berichtete über seine Erfahrungen: Als Geduldeter musste er sich regelmäßig bei der Polizei melden, kam drei Mal in Abschiebehaft und konnte dank einer mutigen Direktorin eine Schule besuchen - "solange die Polizei nicht kommt". Heute ist Soumaoro Bundessprecher der Initiative "Jugendliche ohne Grenzen". Er kämpft für das Recht auf Bildung und Arbeit für junge Flüchtlinge. Das Schlimmste sei für ihn gewesen, zur Untätigkeit verdammt zu sein. Heute ist Soumaoro glücklich, was sein eigenes Schicksal betrifft: "Ich hatte viele Barrieren, aber ich habe es geschafft." Sein Ziel: Eine Familie gründen und ein politisches Mandat - hier in Deutschland oder in seiner Heimat.

Wie Arbeit mit Flüchtlingen gelingen kann, beweist derzeit die Stadt Regensburg: In einer früheren Kaserne gibt es seit Dezember 2014 eine Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung der Oberpfalz, die schon bis zu 800 Flüchtlinge aufgenommen hatte. Auch die Stadt kann bis zu 600 Flüchtlinge aufnehmen. "Wir wollen für jeden ein menschenwürdiges Willkommen ermöglichen", sagt die zweite Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. In Regensburg hätten in der Notsituation der letzten Monate zahlreiche Freiwillige geholfen. Die Stadt stellte zusätzliches Personal ein und unterstützte Ehrenamtlich beispielsweise mit speziellen Schulungen in interkultureller Kompetenz.

Maltz-Schwarzfischer freut sich über den Erfolg der Regensburger und stellt mit Blick auf die traditionsreiche Geschichte der Stadt fest: "Regensburg ging es immer dann gut, wenn es international war." Aber die Sozialreferentin mahnt auch, genau zwischen dem "Notfallmodus" und der danach notwendigen Integration zu unterscheiden. Dafür seien Strukturen und Investitionen notwendig.

Die Situation im Flüchtlingslager im jordanischen Zaatari, einem der größten Flüchtlingslager der Welt, kennt Professor Petra Bendel aus eigner Anschauung. Die Expertin für Flüchtlingspolitik der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen warnt: "Wir stehen vor einer Krise Europas." Die Europäische Union schaffe es nicht, 120.000 Personen umzuverteilen. Für sie war die Flucht vieler Syrer nach Europa vorhersehbar. Das Flüchtlingslager Zaatari sei eine "Falle für die Menschen". Wasser sei knapp, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin nicht gewährleistet. Es gebe kaum noch Bildungsmöglichkeiten.

In Erlangen betreut die Professorin ein wissenschaftliches Projekt zur Erarbeitung von Guidelines für die Arbeit mit Flüchtlingen. Die Gespräche mit Flüchtlinge in Erlangen förderten sehr Positives zutage: "Die Menschen sind dankbar und bieten selbst ihre Hilfe als Freiwillige an", berichtete Bendel. Konflikte seien im Übrigen auf die Enge im Wohnumfeld zurückzuführen und nicht auf religiöse Ursachen, gab die Professorin zu bedenken.

Talk im Max MR
Download: Foto in hoher Auflösung (Nutzung bei Quellennennung kostenfrei) SPD-Fraktionschef Rinderspacher, hier im Gespräch mit Regensburgs zweiter Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer, vermisste den politischen Willen, rechtzeitig bessere Voraussetzungen für schnelle Asylverfahren zu schaffen.

Fraktionschef Markus Rinderspacher forderte schnellere Asylverfahren. Es sei nicht hinnehmbar, dass vielfach erst sieben bis neun Monate in einer Unterkunft vergingen, bis ein reguläres Verfahren starte. Rinderspacher bedauerte, dass in den letzten Jahren der politische Wille gefehlt habe, die Voraussetzungen für schnellere Asylverfahren zu schaffen und rechtzeitig neue Erstaufnahmeeinrichtungen zu bauen: "Diejenigen, die jetzt nach schnellen Lösungen rufen, sind Teil des Problems", sagte der SPD-Fraktionschef mit Blick auf den früheren CSU-Innenminister Friedrich. "Wir wären heute weiter, wenn der politische Wille in Bayern früher erkennbar gewesen wäre. Es müsse jetzt umgehend mehr Personal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingestellt werden, ebenso in den Ausländerbehörden und in der Justiz. Der Münchner Abgeordnete, der in Trudering eine Unterkunft in seiner Nachbarschaft hat, hatte vor Kurzem zehn seiner neuen Nachbarn zu einem Oktoberfestbesuch eingeladen. Dabei habe es in der U-Bahn und im Bierzelt nur freundliche Kontakte mit Menschen gegeben, inklusive einer Begrüßung durch den Festwirt. Im Büro trifft Rinderspacher dann auf eine andere Stimmung: Sein E-Mail-Postfach quillt bisweilen über mit unverhohlen rechtsextremer Post.

Talk im Max Blumen
Download: Foto in hoher Auflösung (Nutzung bei Quellennennung kostenfrei) Diskutierten bei "Talk im Max" am 3. Oktober 2015: Markus Rinderspacher, Prof. Dr. Petra Bendel, Nelli Foumba Soumaoro, Isabell Zacharias, Til Hofmann und Getrud Maltz-Schwarzfischer (von links).

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