Ist Europa noch zu retten? Großes Interesse für SPD-Veranstaltung mit Günter Verheugen

Ist Europa noch zu retten? Großes Interesse für SPD-Veranstaltung mit Günter Verheugen

24. Februar 2016

Der frühere EU-Kommissar referiert über die Geschichte, die aktuellen Probleme und die Zukunft Europas - über 350 begeisterte Zuhörer

Die Veranstaltungsreihe EUROSPEKTIVEN der SPD-Landtagsfraktion konnte am vergangenen Dienstagabend (23.02.2016) mit einem hochkarätigen Gast aufwarten. Günter Verheugen, EU-Kommissar und Vizepräsident der Europäischen Kommission a.D., besuchte den Bayerischen Landtag für einen Vortrag mit anschließender Diskussion. Der Andrang war dementsprechend groß, der Plenarsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Verheugen beschönigte nichts und malte ein eher düsteres Bild Europas. SPD-Fraktionsvize Hans-Ulrich Pfaffmann, gab zur Begrüßung einen kleinen Vorgeschmack, als er konstatierte: "Europa erweist sich derzeit nicht als Solidargemeinschaft. Es ist wenig zu spüren vom Interesse, Probleme gemeinsam zu lösen. Die ursprüngliche Idee des Zusammenwachsens der Völker geht immer mehr verloren."

Hans-Ulrich Pfaffmann
Hans-Ulrich Pfaffmann
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Für die darauffolgenden zwei Stunden gehörte Verheugen die Bühne im Plenarsaal. Er nutzte sie mit einer messerscharfen Analyse der derzeitigen Situation und einem Ausblick in die Zukunft, der trotz aller berechtigten Zweifel, auch Hoffnung auf bessere Zeiten machte. Los ging es aber zunächst mit einem kleinen Abriss der europäischen Geschichte. "Europa ist und war nie durch Einheit gekennzeichnet, es ist gekennzeichnet durch Unterschiede und Vielfalt - und durch Grenzen", erklärte der 71-Jährige. In den vergangenen Jahrzehnten habe man zwar viel erreicht, um diese Grenzen niederzureißen, die Dynamik der europäischen Integration sei aber zum Stillstand gekommen. Das erste Mal seit sechs Jahrzehnten.

Einer der Hauptgründe dafür, sei die Unfähigkeit der einstigen Führungsnationen Deutschland und Frankreich voranzuschreiten, ist sich Verheugen sicher. "Deutschland und Frankreich vertreten fundamental andere Auffassungen, etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es gibt keine Gemeinsamkeiten. Wir haben eine massive Führungskrise innerhalb der EU!" Da in dieser Hinsicht keine Besserung in Sicht sei, sei mit einer Rückkehr der Finanz- und Schuldenkrise zu rechnen, glaubt Verheugen, "und zwar stärker als zuvor".

Günter Verheugen
Günter Verheugen
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Natürlich ging Verheugen in seinem Vortrag auch auf die aktuelle Flüchtlingskrise ein. Der von der CSU geforderten Obergrenze erteilt er eine klare Absage: "Nach der Genfer Konvention kann es keine Obergrenze für Kriegsflüchtlinge geben! Schließen von nationalen Grenzen und Quotierungen sind keine Lösung. Stattdessen müssen die Außengrenzen wirksam geschützt werden. Außerdem müssen legale Einreisemöglichkeiten geschaffen werden, um Schleuser zu bekämpfen." Eine große Gefahr seien die populistischen Parteien. "Diese Parteien sind aber nicht primär deshalb gefährlich, weil sie Mehrheiten in den Parlamenten erlangen, sondern weil sie die etablierten Parteien beeinflussen und Themen setzen."

Verheugen mit Gerhard Schmid, ehemaliger Vizepräsident des Europäischen Parlaments
Verheugen mit Gerhard Schmid, ehemaliger Vizepräsident des Europäischen Parlaments
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Trotz seiner düsteren Ausführungen gab sich Verheugen am Ende versöhnlich. Europa könne zu neuer Stärke und Einheit gelangen. Dazu müsse man zuerst zu einer neuen Sprachkultur zurückfinden und aufhören, sich gegenseitig schlecht zu machen. "Jedes Land der Europäischen Union muss als gleichwertiges Mitglied aufgefasst werden. Das geht mit der Sprache los. Begriffe wie 'Pleitegriechen' darf es nicht geben." Deutschland und Frankreich müssten sich ihrer Führungsrolle bewusst werden und eine starke Einheit demonstrieren. Dann würden sich nach und nach auch die anderen Länder anschließen und Europa zu neuer Stärke zurückfinden.

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