NSU-Terror: Erkenntnisse und offene Fragen

04. April 2017

Nach über 350 Verhandlungstagen nähert sich der NSU Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht seinem Ende. Für die SPD Fraktion war dies Anlass zu einem Fachgespräch über bisherige Erkenntnisse und noch offene Fragen im NSU-Komplex einzuladen.

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) ist verantwortlich für die schwerste rechtsradikale Terrorserie in Deutschland. Da in Bayern die Hälfte der Mordtaten begangen wurde, waren auch die Sicherheitsbehörden des Freistaats Bayern zentral an den Ermittlungsarbeiten beteiligt. Mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Landtagen und zwei Untersuchungsausschüsse im Bundestag versuchten und versuchen, die Vorgänge und Versäumnisse rund um die Ermittlungen aufzuarbeiten. Seit vier Jahren und fast 350 Verhandlungstagen beschäftigt sich zudem ein Prozess am Oberlandesgericht München mit den Taten.

Die SPD-Fraktion lud am 4. April 2017, dem 11. Jahrestag der Ermordung von Mehmet Kubasik durch den NSU, zu einer Diskussion in den Landtag ein. Unter der Moderation des Rechtsradikalismus-Experten Florian Ritter, MdL, diskutierten Antonia von der Behrens (Vertreterin Nebenklage Kubasik), Robert Andreasch (Journalist, Prozessbeobachtergruppe NSU-Watch), Ulrich Grötsch, MdB (Obmann im 2. NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag), und Franz Schindler, MdL (Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses Bayern 2012-2013) neue Erkenntnisse und unbeantwortete Fragen.

Schindler gab zum Einstieg einen Rückblick auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses im Bayerischen Landtag in den Jahren 2012-2013. Es war bundesweit das vierte Gremium zur NSU-Aufklärung und folgte auf den Bundestag, Thüringen und Sachsen. Im Fokus stand dabei das Handeln bayerischer Behörden. Besonders hob Schindler hervor, dass bei den Ermittlungsarbeiten über lange Zeit die Opfer und ihr persönliches Umfeld den vielfältigsten Verdächtigungen durch die Behörden ausgesetzt waren. Auf die Untermauerung dieser Spekulationen wurde ausgesprochen viel Energie verwendet. Die Staatsanwaltschaft kam ihrer Aufgabe die Ermittlungen zu leiten nicht nach. Nicht nur die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft war Thema im Untersuchungsausschuss, auch das Handeln des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz wurde zum Thema. Neben der Tatsache, dass das Landesamt nur halbherzige Hilfestellungen für die polizeilichen Ermittlungen geleistet hat, ergibt sich durchaus das Bild, dass durch bayerische V-Leute die Naziszene eher gestärkt als bekämpft wurde. Schindler verwies darauf, dass die traditionell geringen Kontrollmöglichkeiten des Bayerischen Landtags gegenüber dem Verfassungsschutz zwar endlich an bestehendes Bundesrecht angeglichen wurden, machte aber auch darauf aufmerksam, dass noch viele m Abschlussbericht genannte Punkte nicht oder nur halbherzig umgesetzt wurden.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Grötsch stellte die Erkenntnisse aus der Arbeit im Bundestag vor. Dort beendet derzeit der insgesamt zehnte Untersuchungsausschuss seine Arbeit. Wie bei all seinen Vorgängerausschüssen bleiben auch hier zum Abschluss mehr Fragen offen als beantwortet wurden. Grötsch zeigte sich insbesondere von der Vielzahl einzigartiger Zufälle im NSU-Komplex überrascht. Mittlerweile seien vermutlich auch die Grenzen staatlich-administrativer Aufklärung erreicht, da Zeuginnen und Zeugen nur noch wenig Erinnerung hätten. Der Kampf gegen Rechts ende jedoch nie mit der Arbeit in Untersuchungsausschüssen, so Grötsch.

Anwältin von der Behrens sprach den strukturellen Rassismus in staatlichen Institutionen an und zeigte auf, dass vor allem die polizeilichen Ermittlungen exemplarisch für das gesamtgesellschaftliche Problem von Fremdenhass und Rassismus seien. Als eine wesentliche Erkenntnis nannte sie konkrete Hinweise auf eine sechste Tat in Bayern, die in Verbindung mit dem NSU steht. Auch die stetigen geheimdienstlichen Meldungen über den Thüringer Heimatschutz (THS) durch einen bayrischen V-Mann seien Beleg für tiefer gehende Verstrickungen nach Bayern und das Fehlverhalten des Verfassungsschutzes. Sie schloss sich ihren Vorrednern an und forderte vom Verfassungsschutz, das NSU-Netzwerk besser und umfangreicher aufzuklären.

Für den Journalisten Andreasch nimmt Bayern deshalb eine zentrale Rolle ein, weil dort die Anschlagsserie begann, die bayerische Geschichte des NSU aber weitgehend unaufgeklärt sei. Viele potenzielle Unterstützerinnen und Unterstützer des NSU seien auf freiem Fuß. Dass es das Netzwerk gebe, sei aus Andreaschs Sicht ein zentrales Prozessergebnis. Das Vorgehen in der Anschlagsserie sei von guten regionalen Kenntnisse gekennzeichnet, die nicht dem Kern des NSU zugerechnet werden können. Außerdem sei der NSU-Bezug auf rechten Demos, Veranstaltungen, Publikationen und in rechte Musik national als auch international nachweisbar.

Ritter appellierte abschließend für ein entschiedeneres Auftreten gegen rechtsradikales Gedankengut und Terror. Die SPD-Landtagsfraktion wird die aktuellen Entwicklungen intensiv begleiten und sich weiterhin für die Aufklärung aller offenen Fragen einsetzen.

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