"Hätten wir die Kraft aufgebracht?"

22. März 2018

Gedenken zum 85. Jahrestages des Ermächtigungsgesetz

Am 29. April 1933 geschah etwas, das aus heutiger Sicht für jeden Demokraten unvorstellbar sein müsste: Der Bayerische Landtag, das demokratisch gewählte Verfassungsorgan, löste sich per Abstimmung selbst auf und gab damit seine Macht in die Hände des Diktators Adolf Hitler. Genau wie im Ermächtigungsgesetz des Reichstages, das kurz zuvor in Berlin verabschiedet worden war, stimmten einzig und allein die SPD-Abgeordneten gegen das Gesetz. Sie waren sich darüber im Klaren, dass diese mutige Entscheidung sie selbst in große Gefahr brachte.

In einer Zeit, in der eine Partei mit rechtsextremen Tendenzen mit einem zweistelligen Ergebnis im Bundestag sitzt, ist das Gedenken an diese Abgeordneten von damals wichtiger denn je, ist sich die heutige BayernSPD-Landtagsfraktion sicher. In eine Gedenkstunde am 21. März wurde der Helden von damals gedacht. Anwesend waren unter anderem die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sowie Erich Roßhaupter, Nachfahre des damaligen SPD-Abgeordneten Albert Roßhaupter, der die Rede gegen das bayerische Ermächtigungsgesetz gehalten hatte.

Für Fraktionschef Markus Rinderspacher sei es eine Ehre, solche Vorgänger zu haben: "Wir gehören einer politischen Bewegung an, die in ihrer 150-jährigen Geschichte in Deutschland die Ideale von Freiheit und Demokratie nie verraten hat." Insbesondere der spätere Ministerpräsident Wilhelm Hoegner sei von Anfang an als Verfechter der Nazis gewesen: Er kritisierte in seiner Jungfernrede im Bayerischen Landtag 1924 das skandalös milde Urteil für die Putschisten Hitler und Ludendorff durch die damals offen dem Nationalsozialismus zugeneigte Justiz. Neun Jahre später war Widerstand noch gefährlicher. Eine Erfahrung, die der SPD-Abgeordnete Michael Poeschke am eigenen Leib erlebte: Am Tage der Abstimmung wurde er aus sogenannter Schutzhaft entlassen, um der Abstimmung beiwohnen zu können. Seine Fraktionskollegen indes brachten ihn sofort ins Krankenhaus; er war so schwer misshandelt worden, dass die Abstimmung von ihm unmöglich zu bewältigen war. Dem warnenden Anblick ihres Kollegen zum Trotz stimmten die SPD-Abgeordneten gegen das Gesetz.

Ermächtigungsgesetz - Rinderspacher
Markus Rinderspacher, Fraktionsvorsitzender Download: Foto in hoher Auflösung (Nutzung kostenfrei)

Das auch von Historikern oft gezogene Fazit, die Abstimmungen im Reichs- wie auch im Landtag seien rechtens gewesen - als "freie Entscheidung und Willen der Abgeordneten" -, widerspricht aus diesem Grund der Buchautor Dr. Prof. Dr. Klaus Schönhöven. Den kommunistischen Abgeordneten war bereits im Vorfeld das Mandat entzogen worden. Ein Teil der SPD-Abgeordneten des Reichstags befand sich während der Abstimmung in Haft, insbesondere solche, die 1918 die Demokratie in Deutschland mit erkämpft hatten. Für die SPD-Abgeordneten, die in Berlin zur Abstimmung gingen, wurde der Weg zur Krolloper zum psychischen und physischen Spießrutenlauf. Wilhelm Hoegner schrieb später, er habe ein "Blutbad" gefürchtet. Die Repräsentanten des Liberalismus, des Katholizismus und des deutschnationalen Konservativismus stimmten dem "Selbstmord des Reichstags" (Hoegner) zu. Alle anwesenden SPD-Abgeordneten stimmten dagegen.

Ermächtigungsgesetz - Schönhoven
Prof. Dr. Klaus Schönhoven, Autor des Buches "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht"
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Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin der BayernSPD-Landtagsfraktion, nimmt das Handeln der damaligen SPD-Abgeordneten als Vorbild. "Als heutige Politikerin fragt man sich: Hätte ich die Kraft aufgebracht?", erklärte Kohnen. "Das Gedenken an dieser Menschen ist umso wichtiger, wenn man sich vor Augen führt, dass im vergangenen Bundestagswahlkampf die Wahlhelfer linker Parteien bedroht wurden und von parlamentarischen Vertretern gewisser Parteien eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur gefordert wird." Kohnen ermahnte, dass aufrechte Demokraten heute "die Pflicht geerbet hätten, Freiheit und Demokratie für kommende Generationen zu erhalten. Demokratie verlangt Selbstbewusstsein und Mut!"

Ermächtigungsgesetz - Kohnen
Natascha Kohnen
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