Wirtschaftspolitische Thesen - Die Corona-Krise und die Lehren für unser Wirtschaftssystem

Von Annette Karl, wirtschaftpolitische Sprecherin der BayernSPD-Landtagsfraktion

I. Strukturwandel auch in der Krise gestalten

Zur Bewältigung der aktuellen Wirtschaftskrise werden Hilfs- und Unterstützungsprogramme von historischem Ausmaß aufgelegt. Umso wichtiger, dass wir die Abmilderung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie mit dem sozial-ökologischen Transformationsprozess verbinden, denn wir dürfen die langfristigen wirtschaftlichen Kosten und gesundheitlichen Risken des Klimawandels jetzt nicht aus dem Blick verlieren. Wir werden nur dann eine Chance haben, beide Herausforderungen zu meistern, wenn wir sie zusammen denken und zusammen finanzieren. Ein späteres Nachsteuern im Bereich ökologische Nachhaltigkeit würde die öffentlichen Haushalte aller Voraussicht nach auf Jahre überfordern. Das wirtschaftspolitische Wachstumsbekenntnis muss gerade jetzt mit dem Bekenntnis zu Klima- und Ressourcenschutz einhergehen.

Automobil- und Zulieferindustrie bei Strukturwandel unterstützen: Nur ein erfolgreicher Strukturwandel der Fahrzeugindustrie kann langfristig zu Wohlstand und Beschäftigung in Bayern beitragen. Der Bund hat mit den Zukunftsinvestitionen im Fahrzeug- und Zuliefererbereich, dem Flottenaustauschprogramm für Handwerk und KMU, den Investitionen in die Ladesäuleninfrastruktur sowie in Forschung und Entwicklung in der Batteriezellfertigung im Konjunkturprogramm in diesem Sinne wichtige Instrumente verankert. Eine Kaufprämie auch für fossile Verbrenner würde hingegen den Strukturwandel der Branche verschleppen und die Probleme für Wirtschaft und Klima langfristig vergrößern. Kluge Wirtschaftspolitik muss die Unternehmen und Beschäftigten bei den vier Innovationstrends Dekarbonisierung, Digitalisierung, autonomes Fahren und On-Demand Mobilität unterstützen. Mit unserer Beteiligung an regionalen Initiativkreisen zur Gestaltung der Transformation in der Automobil- und Zulieferindustrie wollen wir gemeinsam mit den Unternehmen, Arbeitnehmervertretern und der Wissenschaft einen Weg aus der Krise finden und die Transformation zukunftssicher gestalten.

Wir fordern: Das Zukunftsforum Automobil Bayern muss zu einem Transformationsbündnis weiterentwickelt und bestehende regionale Transformationsinitiativen ausgeweitet und vernetzt werden.

Nachhaltige Energie- und Wärmewende vorantreiben: Die Energiewende ist ein Schlüsselprojekt beim Erreichen der Klimaschutzziele. Bedingt durch die bundesweit schärfsten Abstandsregeln ist in Bayern der Windkraftausbau quasi zum Erliegen ge-kommen. Damit gefährdet die Staatsregierung nicht allein die Energiewende, sondern auch zukunftsfähige Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft. Mit der Abschaffung der 10 H-Regel muss nun der dringend notwendige Wachstumsimpuls gegeben werden. Über ein ökologisches Investitionsprogramm für moderne Wärmedämmung und Photovoltaikausbau bei öffentlichen und privaten Gebäuden kann ein weiterer konjunktureller Effekt erzielt werden.

Wir fordern: Statt der Windkraftberater der Staatsregierung, die Kommunen beraten sollen, wie sie die 10 H-Regel umgehen können, fordern wir die Abschaffung derselbigen und eine große Informationskampagne zum Nutzen der Windkraft.

Klima- und umweltschädliche Subventionen abbauen: Um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie abzufedern, kommt es derzeit zu einer erheblichen staatlichen Neuverschuldung. Trotzdem leistet sich der Staat Milliarden für klimaschädliche Subventionen. Allein im Energiebereich belaufen sich die Subventionen für fossile Energieträger auf rund 17 Milliarden Euro pro Jahr. Wir fordern: Bei der künftigen Haushaltskonsolidierung muss insbesondere der Abbau dieser Subventionen in den Blick genommen werden.

II. Vielfalt und Innovation am Wirtschaftsstandort Bayern stärken

Die Abhängigkeit von einer oder wenigen (oftmals traditionellen) Industrien macht eine Wirtschaftsregion in Krisenzeiten besonders anfällig. Wirtschaftspolitik muss daher Vielfalt und Innovation fördern. In der Krise selbst heißt das, keine Gruppe nur aufgrund ihrer Größe oder Struktur durchs Raster fallen zu lassen. Langfristig müssen wir es schaffen, noch stärker auf Innovation und jungen Unternehmergeist zu setzen.

Kleinstunternehmer und Solo-Selbstständige stärker unterstützen: In Bayern müssen wir die Überbrückungshilfen des Bundes sinnvoll ergänzen. Solo-Selbstständige, Start-ups, Kleinstunternehmen – also viele Wirtschaftstreibende, die für Risikobereitschaft und Innovation stehen – wurden bisher nicht ausreichend berücksichtigt oder fallen gänzlich durchs Förderraster. Wir fordern: Der Freistaat muss hier einen Ausgleich für die Lebenshaltungskosten bzw. für einen fiktiven Unternehmerlohn schaffen.

Ganz Bayern als Innovations- und Technologieregion stärken: Innovationsfähige Volkswirtschaften sind in der Regel besonders krisenfest. Daher müssen wir relevante Technologien und Märkte noch stärker unterstützen. Wir wollen, dass ganz Bayern als Innovations- und Technologiestandort gefördert wird. Daher hat die SPD schon im Mai 2020 in ihrem Vorschlag für ein bayerisches Konjunkturprogramm gefordert, dass die in der Hightech-Agenda vorgesehenen Investitionen u.a. für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz vorgezogen werden. Neben der Förderung der Spitzenforschung brauchen wir in Bayern eine umfassende Digital- und Innovationsoffensive, die in der Breite der Gesellschaft und bis in die Kitas und Schulen reicht. Eine Verbesserung in der digitalen Bildung ist nicht allein die Voraussetzung für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch für Chancengerechtigkeit in Zeiten des digitalen Wandels.

Wir fordern: Innovationspartnerschaften zwischen allen Arten von Bildungseinrichtun-gen und Unternehmen.

Rahmenbedingungen für Gründerszene verbessern: Start-ups sind ein wichtiger Innovationsmotor. Der von der Staatsregierung angekündigte Scale-up-Fonds ist daher zu begrüßen. Darüber hinaus müssen wir jedoch auch etablierte Strukturen darauf hin überprüfen, ob sie auch auf den Start-up-spezifischen Bedarf ausgelegt sind (z.B. Vergabeverfahren, Zugänglichkeit der Verwaltung, Zugang zu Kredithilfen). Gleichzeitig darf die Frage, inwieweit wir Daten- und Plattformgeschäftsmodelle künftig stärker – auch durch Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingen – unterstützen können, nicht ausgeklammert werden.

Wir fordern: Anpassung der Regulatorik bei Beachtung von Datenschutz und -sicherheit.

III. Digitalisierung als Stabilisierungsfaktor beschleunigen

Die Covid-19-Krise hat die Bedeutung der Digitalisierung sowie die Defizite bei der Umsetzung gleichermaßen aufgezeigt. Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad haben in der aktuellen Krise einen deutlichen Vorteil. Gleichzeitig hat die Krise die seit Jahren verschleppte Digitalisierung des öffentlichen Sektors auf dramatische Weise offengelegt.

Ausbau der digitalen Infrastruktur: Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur ist die Grundvoraussetzung für eine digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Im internationalen Vergleich besteht in Bayern allerdings noch erheblicher Nachholbedarf.

Wir fordern: Eine flächendeckende Ausbauoffensive für Glasfaser und 5G bis 2025.

Öffentliche Digitalisierung vorantreiben: In der Krise fehlen essenzielle Erfahrungswerte, weil in wirtschaftlich starken Zeiten in allen wichtigen Bereichen öffentliche Digitalisierungsprojekte nicht vorangetrieben wurden. Dies zeigt sich in den Schulen (fehlende digitale Ausstattung, mangelhafte Versorgung mit Breitbandinternet, unzureichende Schulung der Lehrkräfte), aber auch bei einfachen Verwaltungsaufgaben wie der sicheren und zuverlässigen Datenerfassung- und Übermittlung sowie der Vernetzung der Ministerien und Behörden untereinander.

Wir fordern: Eine ganzheitliche, Ministerien übergreifende Strategie bis Ende des Jahres.

Unternehmen bei der Digitalisierung unterstützen: Das Instrument des Digitalbonus hat sich in der Vergangenheit als äußert erfolgreiches Instrument bei der Unterstützung von KMUs und des Handwerks erwiesen. Gleichzeitig wird das Programm dem tatsächlichen Bedarf nicht gerecht. Nach Aussagen des Ministeriums sind die 500 Anträge monatlich schon nach wenigen Tagen vergeben. Gerade in der Krise können die Unternehmen noch weniger Kapital für Innovationen aufbringen.

Wir fordern: Eine Aufstockung und inhaltliche Weiterentwicklung des Digitalbonus.

Digitales Mitspracherecht von Beschäftigen stärken: Die Beschäftigten sind von der Transformation in den Unternehmen einerseits unmittelbar von entsprechenden Maß-nahmen betroffen, anderseits verfügen sie über wichtiges Knowhow. Daher müssen sie verstärkt in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

Wir fordern: Ein Initiativ- und Mitspracherecht für Betriebsräte bei Digitalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen in ihren Unternehmen.

IV. Entlastung der Unternehmen unter Wahrung des Arbeitnehmerschutzes prüfen

Um unsere Unternehmen langfristig wieder zu stärken, kann neben den unmittelbaren Hilfsprogrammen auch ein grundsätzliches Nachjustieren von einzelnen gesetzlichen Vorgaben von Nöten sein. Wir sind der Auffassung, dass es in der derzeitigen Krise an-gemessen ist, auch langjährige Auflagen auf den Prüfstand zu stellen, solange dabei der Arbeitnehmerschutz gewahrt bleibt.

Überprüfung von Dokumentationspflichten für KMUs: Eine Entlastung der Unternehmen kann über eine Entschlackung der umfangreichen Dokumentationspflichten in Erwägung gezogen werden. Dies würde insbesondere den kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen.

Wir fordern: Eine zeitnahe Evaluation aller Dokumentationspflichten und daraus folgend Reduzierung auf die wirklich notwendigen Vorgaben unter strikter Wahrung des Arbeitnehmerschutzes.

(Langfristige) Abschaffung der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge: Die Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge bedeutet für die Unternehmen einen erhebli-chen bürokratischen Aufwand, da die vorausbezahlten Beiträge auf Schätzungen basieren, die später mit den tatsächlich angefallenen Summen verrechnet werden müssen. Eine Abschaffung würde zu einer unmittelbaren bürokratischen Entlastung der Unternehmen führen, ohne dabei Arbeitnehmerrechte zu tangieren.

Wir fordern: Die (langfristige) Abschaffung der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge bei gleichzeitiger Prüfung eines Liquiditätsausgleichs für die Sozialkassen im Jahr der Umstellung.

V. Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildung einfordern

Die Wirtschaft muss sich trotz Krise modernisieren. Das kann sie aber nur zusammen mit ihren Beschäftigten. Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sind dabei die Grundvoraussetzung, dass wir gestärkt aus der Krise kommen.

Kurzarbeit zur Weiterbildung nutzen: Die Verlängerung der Kurzarbeit ist ein wichti-ger Schritt zur Krisenbekämpfung. Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer in der Krise halten können, haben einen Vorteil, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Dieser Vorteil kann noch ausgeweitet werden, indem die Zeit für Qualifizierung und Weiterbildungs-maßnahmen genutzt wird.

Wir fordern: Auszahlung des Kurzarbeitergelds an die Bedingung knüpfen, Fortbildungs-maßnahmen mit dem Ziel des konkreten Arbeitsplatzerhalts anzubieten.

Digitale Kompetenzen von Mitarbeitern stärken: Auch langfristig müssen sich die Beschäftigten in die Lage versetzen, mit der Digitalisierung umzugehen und den Struktur-wandel mitzugehen.

Wir fordern: Ein Recht auf digitale Weiterbildung für alle Beschäftigten.

Menschen in der Krise nicht allein lassen: Wir wollen Unternehmen bestmöglich da-bei unterstützen, den Beschäftigten eine Zukunft in ihren Betrieben zu bieten. Dies wird – auch aufgrund drohender Insolvenzen – leider nicht immer gelingen. Daher müssen wir auch für diese Menschen Hilfsinstrumente bereithalten.

Wir fordern: Eine Weiterführung und ggf. Anpassung des Transferkurzarbeitergelds

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